Das geniale System aus der Pionierzeit des Linthwerks funktioniert noch heute
Walensee als Ausgleichsbecken
Die Linth erreicht das Linthwerk als wilder Gebirgsfluss. Sein Pegelstand schwankt ständig und erreicht bei der Schneeschmelze und bei Starkgewittern Höchstwerte. Ab Mollis/Näfels wird die Linth im Escherkanal in den Walensee geleitet – mit allem Geschiebe, das sie aus den Glarner Bergen mit sich führt. Der Walensee funktioniert als Ausgleichs- und Rückhaltebecken: Im Walensee werden die Hochwasserspitzen gebrochen und das Geschiebe setzt sich ab.
Aus dem Walensee bringt die Linth klares, geschiebefreies Wasser zum Zürichsee. Hochwasser der Glarner Linth passieren den Linthkanal mit rund 24-stündiger Verzögerung und die Wassermassen sind ausgeglichener. Ab Weesen fliesst die Linth zuerst in einem Kanaleinschnitt. Bei Hänggelgiessen beginnt die Dammstrecke des Linthkanals über dem Talboden. Sie reicht bis zur Linthmündung in den Obersee.
Drei unabhängige Wassersysteme auf verschiedenen Ebenen in der Linthebene
Die Wasserbaupioniere des 19. Jahrhunderts haben – den Ordnungsvorstellungen der damaligen Zeit folgend – die Linth in geradlinige Kanäle mit Seitenkanälen (Hintergräben) verlegt. In der Linthebene sind daraus später drei unabhängige Wassersysteme geworden: der Linthkanal, die Hintergräben und die Meliorationskanäle.
Auf der Dammstrecke vom Hänggelgiessen bis zum Zürichsee liegt der Linthkanal einige Meter über dem natürlichen Terrain des Linthgebiets, auf der obersten hydraulischen Ebene. Weil die kanalisierte Linth über dem Terrain fliesst, kann sie das Wasser aus dem Talboden und den Bächen der Gegend nicht aufnehmen. Darum leiten der Rechte und der Linke Hintergraben das Wasser aus dem Talboden in den Zürichsee ab.
Zwischen den 1940er- und den 1960-er Jahren wurde die Linthebene für die landwirtschaftliche Nutzung und die Besiedlung grossflächig melioriert. Die zur Bodenentwässerung dienenden Meliorationskanäle mit dem F-Kanal bilden das dritte unabhängige Wassersystem – auf der untersten hydraulischen Ebene.
Schematische Darstellung der Damm- und Gewässersituation unterhalb von Giessen.
Am 22./23. August 2005 regnete es stark im Glarnerland. Der Abfluss im Escherkanal stieg rasch auf rund 400 m3/s an. Durch die Verzögerung im Walensee erreichte das Hochwasser den Linthkanal später und mit stark reduzierter Spitze von rund 250 m3/s.
Kanalprofil für mehr Wasserkapazität
Der Escherkanal wurde mit einem speziellen Querprofil gebaut, das auch am Linthkanal Verwendung fand: das Doppel-Trapez-Profil. Im unteren Trapez mit der breiten Flusssohle fliesst der Fluss. Das obere Trapez mit den ausladenden Vorländern bis zu den Hochwasserschutzdämmen liegt bei Normalwasserstand über Wasser. Dieses weite obere Trapez hat ein grosses Fassungsvermögen. Bei Hochwasser können darum grosse zusätzliche Wassermengen abgeleitet werden.
Um 1825 hat Ingenieur Heinrich Pestalozzi (1790 – 1857) den geplanten Querschnitt durch den Molliserkanal (heute Escherkanal) gezeichnet. Er zeigt das charakteristische Doppel-Trapez-Profil mit Niederwassergerinne und breiten Vorländern vor den Hochwasserschutzdämmen. Links und rechts des Kanals sind die Hintergräben.